Angst, Verzweiflung & Trauma: Was Videospiele unbewusst auslösen können

Videospiele sind oft einfach nur dazu da, euch zu unterhalten oder entspannte Stunden vor dem Fernseher zu schenken. Doch Zeiten ändern sich - und heutzutage finden in Spielen auch brisante, spannende und grenzwertige Themen statt. Mal, um auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam zu machen, mal auch nur, um möglichst viel Aufmerksamkeit für den Titel zu bekommen. Dass das nicht unbedingt immer - und vor allem für jeden - positiv ist, möchte ich anhand einiger Beispiele mit euch teilen.
Triggerwarnung: Dieser Artikel behandelt unter anderem die Themen körperliche und sexuelle Gewalt, sowie Suizid und Wasser-Phobien.
Den meisten von euch dürfte nicht entgangen sein, welches Aufsehen das umstrittene Hatred ausgelöst hat. Ein Spiel, das rein darauf ausgelegt ist, reihenweise Chaos und Zerstörung zu verursachen und dabei so viele NPCs wie möglich in den Tod zu reißen. Von Anfang an war klar, dass das Thema die Aufmerksamkeit erregen wird, die die Entwickler mit einem weniger gewalttätigen Spiel nicht bekommen hätte. Die Gewalt wird hier also als simples Mittel zum Zweck genutzt, um mehr Gewinn und vermeintlichen Ruhm zu erhalten.
Doch dabei rückt ein Punkt besonders in den Hintergrund: Verstörung. Es gibt Spieler, die durch solche Themen getroffen, verstört oder gar in eine depressive Phase fallen können. Ich spreche hierbei von sogenannten Triggern. Diese können, je nach Spieler, ganz unterschiedlich aussehen und diverse Reaktionen hervorrufen. Ein Trigger kann so zum Beispiel eine Szenen oder ein Dialog sein, der einem eigenen traumatischen Erlebnis ähnelt und den Betroffenen an das Vorkommnis erinnert. Alte Gefühle, nicht verarbeitete Gedanken und die vielleicht bereits fern in der Vergangenheit liegende Begebenheit kommen wieder an die Oberfläche und scheinen nah, greifbar. Oft zu nah. Zu greifbar.
Gewalt als Stilmittel
Im Rahmen dieses Artikels möchte euch auch an meinen eigenen Erfahrungen mit Triggern in Videospielen teilhaben lassen. Dabei ist es ist nicht meine Intention, das kontroverse Thema um das Rollenbild von Frauen in Spielen aufzuwärmen. Dennoch haben mir besonders solche Szenen einen üblen Nachgeschmack hinterlassen, in denen Gewalt gegen Frauen gezeigt wurde - und das aus einem einfachen Grund. Ich bin selbst mehrfach Opfer von körperlicher Gewalt geworden.
So oft ich auch denke, dass ich diese prägenden Ereignisse auf dem bestmöglichen Wege für mich überwunden und abgeschlossen habe, werde ich dank Spielen oft eines besseren belehrt. Szenen wie die in Metro: Last Light, in der eine Frau fast vergewaltigt wird, lassen mir das Blut in den Adern gefrieren. Dabei zusehen beziehungsweise zuhören zu müssen, wie eine - wenn auch virtuelle - Frau gegen ihren Willen mit Gewalt zu etwas gezwungen wird, lässt mich meine eigene Hilflosigkeit und Schwäche in der Vergangenheit noch einmal neu durchleben. Ich kann nachempfinden, was sie denkt, was sie fühlt. Auch wenn sie nicht real ist.
Diese und andere Beispiele sind Situationen, die in unserer Gesellschaft passieren. Es gibt Menschen, die an solch traumatischen Erlebnissen zerbrechen und niemals wieder zu sich selbst finden. Und wenn sie es irgendwie doch tun und zufällig auf genau solch ein Ereignis in einem Videospiel treffen, das sie eigentlich zur Unterhaltung spielen wollten, kann es vorkommen, dass das Erlebnis die oder den Betroffenen wieder völlig zurückwirft.
Die Angst vor dem Versagen
Als Trigger zählen aber nicht nur Gewaltszenen. Auch Geschehnisse rein emotionaler Art können manche Spieler in eine tiefe Depression stürzen - beispielweise ein Ereignis in der zweiten Episode des Adventures Life is Strange über das ich in einem Artikel von Laura Dale auf Polygon las. Achtung, es folgen Spoiler! Darin beschreibt die Autorin, wie sie die Szene erlebt hat, in welcher die Protagonistin maßgeblich an einem Suizid oder der Rettung beteiligt ist. Tatsächlich ist es möglich, das suizidgefährdete Mädchen dazu zu bewegen, sich nicht vom Dach der Schule zu stürzen. Ebenso könnt ihr durch eure Wortwahl aber auch der Stein des Anstoßes für eine Tat mit fürchterlichen Folgen sein.
Laura Dales persönliche Geschichte hat mich sehr berührt, mir aber auch klar gemacht, dass ich wohl niemals die zweite Episode von Life is Strange spielen sollte. Denn die Situation, die sie selbst beschreibt, kenne ich sehr gut - im Gegensatz zu Dale stand ich allerdings nicht auf der Seite des Retters. Ich hatte zu einem früheren Zeitpunkt jemanden, der mich davor bewahrt hat, meinem Leben ein Ende zu setzen. Bis zum Polygon-Artikel war mir nicht bewusst, was diese Person gefühlt haben musste, was für ein Druck auf ihr hat lasten müssen, und wie unglaublich stark sie gewesen ist.
Ich weiß nicht, ob ich es hätte ertragen können, dass meine nächsten Worte einen Menschen dazu bringen, sich von dieser Welt zu verabschieden. Ich möchte mich - weder in der Realität noch virtuell in der zweiten Episode von Life is Strange - in eine solche Situation begeben. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, wenn sich das Mädchen am Ende tatsächlich vom Dach stürzt. Deswegen bin ich dankbar, den Polygon-Artikel rechtzeitig gefunden zu haben, um mich vor dieser Erfahrung zu schützen. Spoiler Ende.
Wenn scheinbar normale Situationen zum Albtraum werden
Doch es wird noch komplizierter als Gewalt-Darstellung und Emotionalität. Selbst, wenn die Entwickler nicht im Sinn haben, eine besonders brisante oder kontroverse Szene in ihr Spiel zu implementieren, können auch Situationen, die für viele Menschen völlig normal sind, Gänsehaut verursachen oder gar zu einem Trigger werden. Ich gebe euch ein Beispiel:
Ich fürchte mich vor tiefem, offenem Wasser. Als Kind hatte ich ein traumatisches Erlebnis, das mich bis heute daran hindert, in Seen, Flüssen oder im offenen Meer schwimmen zu gehen. Dabei habe ich keine Angst vor dem Ertrinken, sondern vor den Dingen, die außerhalb meiner Sichtweite unter meinen Füßen passieren. Meine Angst davor ist so groß, dass sie sich auf virtuelle Welten erstreckt. Wenn in einem Spiel Wasser auftaucht, hoffe ich immer, dort nicht hinein steigen zu müssen - ein Wunsch, der mir selten erfüllt wird, egal ob in Tomb Raider, Far Cry oder Resident Evil.
Diese Szenen sind nicht unbedingt dazu gedacht, beim Spieler großen Schrecken auszulösen. Doch je nach persönlichen Erfahrungen - und die sind unglaublich vielfältig - können selbst solche scheinbar normalen Vorkommnisse traumatisierten Menschen Schwierigkeiten bereiten. Dass ich mit diesen Erlebnissen nicht alleine bin, konnte ich im Übrigen vor einer Weile in einem Artikel über Selachophobie auf Gameswelt lesen.
Warum spielen, wenn es mich verletzt?
Bleibt also die Frage, warum man als Spieler solche Titel überhaupt in seine Konsole oder die Steam-Bibliothek legt - und genau hier gibt es ein ungeklärtes Problem:
Oft ist nicht von vornherein klar, dass ein Trigger-Ereignis im Spiel vorkommt; siehe Life is Strange. Hätte ich nicht den Artikel gelesen, hätte ich von der Szene im Vorfeld nicht gewusst. Sollten bei Spielen also Triggerwarnungen eingeführt werden? Ich bin der Meinung: ja, im Grunde schon. Wenn besonders fragwürdige - egal ob gewalttätige, emotionale oder sonstige - Szenen in einem Spiel vorkommen, sollte ein Hinweis darauf veröffentlicht werden.
Das Thema bringt jedoch auch einige Schwierigkeiten mit sich. Mein obiges Wasser-Beispiel zeigt, dass man selten klar definieren kann, was genau ein Trigger-Erlebnis sein kann und was nicht. Jeder Mensch, jeder Spieler, hat andere Erlebnisse vorzuweisen und bestimmte Situationen anders erlebt. Es könnte Millionen Möglichkeiten für Trigger geben, an die man als Spiele-Entwickler in erster Linie gar nicht unbedingt denkt oder denken kann. Daher wird es wohl mit ziemlicher Sicherheit nicht dazu kommen, dass Triggerwarnungen zum Usus von Spielebeschreibungen oder -packungen werden.
Doch was ist mit der Zukunft? Was ist die Lösung für dieses Problem?
Spiele sind mittlerweile eindeutig mehr als reiner Zeitvertreib. Heute regen sie aufgrund ihrer Machart häufig zum Denken an und bleiben auf diesem Wege lange in der Erinnerung. Sie können den Spieler unter bestimmten Voraussetzungen verletzen, ohne das zu beabsichtigen. Denkt beim nächsten Spieleabend darüber nach, ob ihr euren Freund/in wirklich auslachen wollt, wenn sie oder er ein bestimmtes Spiel z.B. aus Angst vor der Dunkelheit oder übertriebener Gewalt nicht spielen möchte. Möglicherweise verbinden sie damit ein schreckliches Erlebnis, über das sie nicht weiter reden möchten. Hier ist vor allem Akzeptanz gefragt - ihr könnt euch sicher auf ein Spiel einigen, mit dem ihr beide eine gute Zeit verbringen könnt.
In einem Artikel auf gamespilot, der sich ebenfalls mit dem Thema Triggerwarnungen beschäftigt, bin ich außerdem auf eine gute, nur leider noch zu unbekannte Lösung gestoßen: Im Wiki GamePhobias updaten die Verantwortlichen eine Datenbank über Phobien, die durch bestimmte Spiele getriggert werden können. Wer von einem solchen Projekt weiß und sich darüber informieren kann, ist bereits einen Schritt weiter. Jetzt ist es nur noch an uns und euch, Betroffene über diese Möglichkeiten zu informieren.
Diesen kleinen Ausflug in die dunkle Seite der Videospiele möchte ich mit einem übersetzten Zitat des kürzlich verstorbenen Satoru Iwata abschließen und damit zum Nachdenken bewegen:
„Spiele sollten vor allem eines bringen: Spaß. Spaß für alle.“