Ohne Spaß am Spiel: Wenn sich Games mit Depressionen und Krankheiten beschäftigen

Videospiele sollen unterhalten und Spaß machen? Nicht immer. Folgende Spiele bringen dich zum Weinen. Und das nicht vor Freude.
Es ist Wochenende, Zeit zum Zocken. Auf der Couch fläzend (oder, freilich, auf dem Schreibtischstuhl) möchte man dem Alltag entkommen. In Yakuza 5 den Untergrund Japans erkunden, in Star Wars: Battlefront als Sturmtruppler die Rebellen aufmischen. Oder im Bloodborne-DLC „The Old Hunters“ in Yharnam ordentlich den Hintern versohlt bekommen.
Videospiele bieten vielfältige Möglichkeiten, sich in fremden Welten zu verlieren und Charaktere kennenzulernen, in denen man sich entweder wiederfindet, oder aber ganz neue Seiten an sich entdeckt. Dabei steht natürlich die Freude am Spielen immer im Vordergrund. So frustig es auch manchmal werden kann, hallo Bloodborne, schlussendlich fühlt sich das Beenden eines Spiels an wie eine Errungenschaft. Und warum sollte man sich in einem Videospiel auch mit Problemen auseinandersetzen, mit denen man in seinem Alltag schon genug zu schaffen hat?
Eskapismus nennen Kritiker diese Einstellung. Sich in fremde Welten retten, in Luftschlössern verlieren, wenn die Welt um einen herum zu grau und trist scheint. Die Augen gegenüber der Realität verschließen. Doch auch das genaue Gegenteil ist möglich. Viele Spiele nehmen sich Themen wie Krankheit, Depression oder Missbrauch an.
Katharsis und Bewusstsein-Schaffen können die Beweggründe sein, um sich mit solchen Spielen auseinanderzusetzen. Sie sollen keinen Spaß machen, nicht unterhalten. Vielmehr sollen sie das geneigte Publikum auf ein Problem aufmerksam machen. Es soll in den Köpfen der Spieler ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es etwa Krankheiten gibt, die wir sonst oftmals bewusst aus unseren Medien ausschließen, weil sie Unbehagen verursachen. Andererseits aber können diese Spiele auch dazu dienen, sich seinen eigenen Dämonen zu stellen. Beim Zocken seine eigenen Ängste durchzuspielen, diese zu erleben, kann zu Katharsis führen. Also zu einer, nach Aristoteles, „seelischen Reinigung“.
Die folgenden Spiele sollen beispielhaft zeigen, wie so ein Vorhaben gelingen kann.
That Dragon, Cancer
Es beginnt damit, dass wir eine Ente sind. Uns werden Brocken von Brot zugeworfen. Mit einem Mausklick sammeln wir die Brocken auf und nähern uns somit einer Bank am Ufer. Auf dieser sitzt ein kleiner Junge. Der Junge heißt Joel. Und er hat Krebs.
In That Dragon, Cancer erleben wir eine Familie bei ihrem Kampf mit der Erkrankung des Sohnes. In kurzen Szenen, eindrücklichen Erinnerungsfetzen, nehmen wir Teil an den Qualen des Sohnes, der immer wieder aufkeimenden Hoffnung, den unweigerlichen Streitereien und gegenseitigen Anschuldigungen, dem Zweifel am eigenen Glauben.
In einem Moment befinden wir uns etwa im Krankenhauszimmer, hören Joel jämmerlich weinen. Wir versuchen alles, um das Weinen zu stoppen. Doch es hilft nichts. Dann wieder spielen wir „Ritter Joel“, der gegen einen Drachen, den Krebs, zu kämpfen hat. Die Steuerung ist dabei sehr einfach. Der Grafikstil ist sehr farbenreich und verzichtet auf Details wie Gesichtszüge. Es geht nur darum, diese Szenen zu erleben. Unsere Aufgabe ist es, zuzuhören. Etwa während wir ein Karussell drehen auf dem Joel sitzt und plötzlich ein Dialog aus dem Krankenhaus eingespielt wird. Oder wir vom Arzt zu hören bekommen, dass die Chemo nichts bewirkt hat, Joel nur noch wenige Wochen zu leben hat. Der Raum füllt sich dann mit Wasser, jedes Gefühl ertrinkt. „I guess this is shock“ kann Amy nur noch sagen. Schlussendlich gibt es kein „Continue“ mehr für Joel. Dieses Spiel kann nicht gewonnen werden.
The Beginner’s Guide
The Beginner's Guide. Das Spiel, das das Medium Videospiele selbst auf einer Metaebene behandelt. Was zunächst vielleicht mühsam klingt, ist jedoch eine ganz besondere Erfahrung.
Zunächst laufen wir durch unfertige und ziemlich experimentelle Level. Ein Erzähler vermittelt uns dabei, dass es sich um die ersten Programmierversuche seines guten Freundes handelt. Dieser sei ein absolutes Genie und in einer Depression gefangen, die ihn dazu gebracht habe, das kreative Arbeiten komplett aufzugeben.
Wir streifen also durch diese Level, haben nicht viel mehr zu tun als zu beobachten und ab und zu ein kleines „Rätsel“ zu lösen. Mit der Zeit entfaltet sich jedoch eine Geschichte über Genie, Wahnsinn und Authentizität. Was können wir über den Charakter eines Menschen sagen, den wir nur dadurch kennen, dass wir durch seine selbstgeschaffenen Level streifen? Wie könnte man einem Freund helfen, der scheinbar gefangen ist in seinem Inneren, nicht herauskommen kann?
Doch je weiter wir in diesem „Spiel“ vorankommen, desto weniger können wir dem ganzen Szenario trauen. Am Schluss erfahren wir in einem recht dramatischen Turn, dass wir die ganze Zeit auf den allmächtigen Erzähler hereingefallen sind. Dass wir scheinbar alles glauben was uns erzählt wird. Und haben dennoch Mitleid. Ob selbst gespielt oder als Let’s Play. Beginner’s Guide muss man erlebt haben.
Auf der nächsten Seite geht es mit drei weiteren Spielen weiter.