South Park - The Stick of Truth Test: Lang und hart und leicht beschnitten

Sowas passiert nicht jeden Tag. Nach dem Durchzocken des neuesten Rollenspiels von Obsidian, einem Studio, das ich am liebsten bei Gelegenheit in ein schmutziges Motel entführen möchte, kann ich mit Fug und Recht sagen: Ich habe in den letzten Tagen Dinge getan, die mir so bislang in keinem Spiel begegnet sind. Fragwürdige, ekelhafte Dinge.
Ja, ich habe dank South Park: The Stick of Truth auch gleich mehrere Kandidaten für die hoffentlich bald eingeführte Auszeichnung „Widerlichster Game-Level Ever“. Es war ja auch nichts anderes zu erwarten. Was will man von einem Spiel erfahren, dessen Konsolenfassung in Europa um Szenen mit Abtreibungen, Analsonden und Nazi-Zombies erleichtert wurde?
Ich habe South Park sehr lange nicht gesehen, doch ich war sofort wieder drin. Anlass der hier vorliegenden Fanservice-Parade ist ein neuer und äußerst schweigsamer Junge, der mit seinen Eltern in das verschlafene Bergnest zieht. Beim Versuch, neue Freunde zu finden, gerät unser kleiner Pantomime in einen epischen Hinterhofkrieg zwischen den Menschen des Kingdom of Kupa Keep (KKK), angeführt von Zauberer Cartman, und den Elfen und Führung des Druiden Kyle. Der Anlass der Klopperei: der „Stab der Wahrheit“, ein Stock, der dem Besitzer erlaubt, die Regeln der Welt oder doch zumindest des Spiels zu bestimmen.
Das ist aber, wie so oft, nur eine Seite der Story, denn schon bald überschneidet sich der Konflikt der kleinen Scheißer mit einem realen UFO-Absturz, der wiederum zu einer Epidemie von Nazi-Zombies führt, die ihrerseits wieder radikale Men-in-Black-Regierungstruppen auf den Plan ruft. Nach kurzer Zeit befindet sich South Park (mal wieder) im Ausnahmezustand und einmal mehr sind es Stan, Kyle, Kenny, Cartman, Butters, Jimmy und diesmal auch der Neue, der von Cartman liebevoll „Douchebag“ genannt wird, die als einzige halbwegs vernünftige Leute dem Treiben Einhalt gebieten können.
Doch am Anfang der Reise steht das Spiel, und wir steigen ein, indem wir unter Cartmans Anleitung die Fähigkeiten einer von vier Klassen erlernen: Krieger, Magier, Dieb oder Jude. Jede der Klassen wird im Laufe des Spiels fünf Fähigkeiten erlernen, die wiederum durch jeweils fünf Upgrades erweitert und angepasst werden können. Klingt nicht nach viel und gegen Ende des Spiels zeigen sich auch tatsächlich ein paar Ermüdungserscheinungen, doch es bleibt nicht allein bei diesen ursprünglichen Mechaniken.
Durch das Treffen neuer (Facebook-)Freunde schaltet man passive Perks frei. Eine Vielzahl wirklich unterschiedlicher Waffen und eine abartige Menge an Customizing für die verschiedenen Schwerter, Stäbe und unüblichere Waffen wie Dildos, Krücken, Alien-Strahler und Ähnliches sorgen für weitere Abwechslung. Durch Quests erlangt man außerdem beschwörbare Begleiter wie Mr. Hankey, den Weihnachtskot, Mr. Slave oder Jesus Christus. Darüber hinaus stehen natürlich Kyle, Cartman und Co. als Begleiter zur Verfügung und bringen jeweils ihre eigenen Skills, Zauber und Boni mit sich.
Alles entfaltet dabei einen schizophrenen Charme zwischen herzerwärmender Kinder-Fantasie, echter Epicness und der altbekannten Grenzen- und Geschmackslosigkeit, die kaum eine Show so zelebriert wie Trey Parkers und Matt Stones allseits beliebter Hirnfurz. Ja, Cartman ist ein mächtiger Zauberer, und tatsächlich kann er auf seine Feinde massive Feuerstürme loslassen – nur macht er das eben, indem er seine Blähungen anzündet. Jimmy stärkt als Barde seine Truppe, aber natürlich gilt es, sein Stottern zu bezwingen. Und wenn auch alles mit dem Kampf gegen andere Kinder in Elfenkostümen anfängt, so muss man im Verlauf des Abenteuers noch Nazi-Bakterien, kanadische Pixel-Wölfe und Unterhosengnome plattmachen.
Never fart on a man's balls!
South Park: The Stick of Truth ist ein sehr „aktives“ RPG. Zwar erinnert das Kampfsystem an die rundenbasierten Geplänkel aus JRPGs, aber fast jede Aktion ist an ein Minispiel oder ein Quicktime-Event gekoppelt, so dass man stets aufmerksam bleiben muss. Cool ist auch, dass man oft, sehr oft sogar, die Möglichkeit hat, Kämpfe zu umgehen, indem man in der Umgebung Fallen auslöst, die die Feinde dann plätten oder doch zumindest ausdünnen. Da schießt man mit der Fernwaffe auf eine Lampe, die dem Widersacher auf die Birne donnert, oder man befiehlt „Prinzessin“ Kenny, dass sie den gegnerischen Truppen ihre Brüste zeigt, damit die wie in Trance in eine unter Strom stehende Pfütze torkeln.
In der verhältnismäßig kleinen, dafür aber voll bepackten Welt von South Park hat das Spiel außerdem Elemente von Metroidvania-Titeln – im Lauf der Zeit lernt man neue Fähigkeiten, die Zugang zu neuen Arealen, Geheimnissen und Items bieten. Was man alleine an kosmetischen Items in Stick of Truth findet, kann einem die Schuhe ausziehen – sicherlich eine angenehme Nebenwirkung des minimalistischen Stils.
Eigentlich ist also alles super, man muss allerdings wissen, worauf man sich einlässt. Vielleicht am wichtigsten: Stick of Truth ist kein gar so episches RPG wie die Nummern, die sonst so gerne aus dem Hause Obsidian kommen. Man sitzt keine 30 bis 60 Stunden davor, sondern um die zehn, und der Wiederspielwert hält sich trotz der vier Klassen in Grenzen – abgesehen von einer größeren Entscheidung, die langfristig keine echten Auswirkungen hat, würde man bei jedem neuen Spieldurchgang dasselbe machen.
Dieser Effekt wird noch dadurch unterstrichen, dass zum Beispiel die gefundene, erbeutete und käuflich erworbene Ausrüstung in keiner Weise an die Klassen gebunden ist – ein Krieger kann genauso gut ein Selbstheilungs-Mönch-Set tragen wie der Jude, also steht bei jedem Spieldurchgang dasselbe Equipment zur Verfügung. Es sind auch alle Klassen auf ihre Art offensiv veranlagt, also unterscheidet sich das Spielgefühl nur minimal.
Das kann man dem Spiel schon ankreiden. Weitere Auffälligkeiten sind der Schwierigkeitsgrad und gewisse Komfort-Debakel. Letztere sind nicht ganz so tragisch, die Menüs sind eben unübersichtlich und sackständig zu bedienen, damit kann man leben, es wundert nur, dass die Veteranen von Obsidian das nicht besser hingekriegt haben. Der Schwierigkeitsgrad ist noch eigenartiger: Auf „Normal“ sind 90% aller Kämpfe völlig belanglos und werden dann durch plötzliche Schwierigkeits-Spitzen in der Kurve „aufgelockert“, so dass man dann unvermittelt mehrmals auf die Fresse kriegt.
Es sollte außerdem erwähnt werden, dass mir zwar nicht viele Bugs aufgefallen sind, aber diejenigen, die es gab, waren dafür umso gravierender - in der Regel ein Fall für den Reload. Natürlich kann man das darauf schieben, dass wir eine Debug-Version hatten, aber wer schon einmal Fallout: New Vegas, Knights of the Old Republic II oder, Himmel hilf, Alpha Protocol gespielt hat, weiß, dass solche Dinge bei Obsidian auch mal so ganz gerne vorkommen.
Aber alles Gemotze über Nichtigkeiten kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich trotz meiner langen South-Park-Abstinenz diebischen Spaß hatte und die Erfahrung trotz gewisser Ekel-Gänsehäute nicht missen möchte. Als es noch für 2013 angekündigt war, gehörte Stick of Truth zu meinen meisterwarteten Spielen des Jahres. Selbst, wenn man es nicht als derartigen Knaller empfindet, muss man ihm aber doch zugestehen, dass es nicht nur seiner Vorlage, sondern auch den Ansprüchen moderner Gamer gerecht werden kann. Damit ist es in der Spieleszene singulär – nicht perfekt, aber ohne echte Alternative. Sowas passiert nunmal, wenn man ein Rollenspiel entwirft, dass nahezu jede denkbare Grenze nicht etwa nur auslotet oder überschreitet, sondern auf sie kotzt.
Die Zensuren übrigens sind recht invasiv, auf ihre Art aber durchaus unterhaltsam - Texttafeln schirldern blumig, was wan gesehen hätte, was auf seine Art natürlich herrlich absurd ist, als läse man im Detail die einzelnen Bewegungsabläufe eines Pornos. Eine den gestrichenen Abtreibungen ähnliche Prozedur kann man später durchführen, man verpasst aber offenbar nicht viel. Wenn ihr sehen wollt, wie die Zensuren in Aktion aussehen, werft einen Blick in unser South Park: Stick of Truth GIGA Gameplay, wo wir euch die Schnitte vorführen.
Fazit
The Stick of Truth ist überraschenderweise nicht nur eine lange, gute und sehr brachiale Episode von South Park, sondern darüber hinaus auch ein ziemlich gutes RPG, das Perfektionisten und Afficionados deutlich über die 10-Stunden-Marke hinaus beschäftigen kann. Gewisse Schwächen in Spielmechanik und Komfort sowie der ansonsten im Genre übliche, hier aber fehlende Wiederspielwert trüben den Gesamteindruck leicht und halten The Stick of Truth davon ab, zu den ganz Großen zu zählen, aber wenn man eine gewisse Neigung zum Humor von South Park hat, schuldet man sich, dieses erste richtig gute Spiel zur Serie zu erleben. Ansonsten muss man aber dringend die Finger weglassen oder mehr als eine Kotztüte bereithalten.
Mehr Rollenspiele? Vielleicht ist in unserer Liste der besten Rollenspiele 2014 ja was dabei!