The Witcher: Ciri ist nicht weiß? Deshalb ist das voll in Ordnung
Ciri wird in der The Witcher-Serie von Netflix vielleicht nicht weiß. Das bringt einige zur Weißglut. Doch was ist an den Argumenten dieser Leute wirklich dran? Nicht viel, wie unsere Recherche zeigt.
Geralt ist übrigens nicht nur den The Witcher-Spielen vorbehalten, sondern kämpft jetzt auch in Soul Calibur 6.
Inzwischen ist es schwierig, auf Reddit, 9GAG oder anderen Seiten keine Threads oder Memes zu einer schwarzen Ciri zu finden. Die meisten regen sich auf, sagen, sie müsse weiß sein und führen lange, mühsame Diskussionen darüber. Ein Argument jagt das andere und alle würden beweisen, warum es total wichtig sei, dass Ciri nicht schwarz ist. Woher kommt die Aufregung?
Vor ein paar Tagen wurde ein Casting-Aufruf geleakt, in dem nach einer BAME-Darstellerin für die Rolle der Ciri in Netflix‘ The Witcher-Serie gesucht wird. BAME? Das ist ein Akronym für „Black, Asian, and minority ethnic“ und bezeichnet in Großbritannien nicht-weiße Communities. Diese vier Buchstaben ließen für einige The Witcher-Fans nur eine Schlussfolgerung zu: Ciri wird in der Serie schwarz. Seitdem wird diskutiert, gehatet, beleidigt, rassistisch schwadroniert und an Memes gebastelt. An allem sind Social Justice Warriors, Netflix und Lauren S. Hissrich, die Autorin der Serie, Schuld.
Zu Anfang muss deshalb erst einmal festgestellt werden: Niemand hat eindeutig gesagt, dass Cirilla Fiona Elen Riannon aus Cintra von einer schwarzen Darstellerin gespielt wird. Es gibt kein offizielles Statement, außerdem kann BAME so viel mehr heißen als „schwarz“, sind darin doch alle ethnischen Minderheiten miteinbegriffen. Den Memes, dem Hass und der Diskussion fehlt die Basis, es wird sprichwörtlich um ungelegte Eier geredet – mit Argumenten, die sich mit ein bisschen Recherche leicht wiederlegen lassen.
„Ciri muss weiß sein, weil sonst die Geschichte ...“
So sind einige der Meinung, Ciri kann gar nichts anderes als weiß sein, da es die Geschichte nicht anders hergibt. Da ist dann erst einmal die Frage, welche Geschichte gemeint ist: die der Bücher von Andrzej Sapkowski oder die der Videospiele von CD Projekt RED? Denn die Netflix-Serie bezieht sich ausschließlich auf die Bücher und nicht auf die Spiele. Diejenigen, die sich jedoch am meisten aufregen, haben vor allem die Spiele und die Darstellungen der Charaktere darin im Kopf.
Da heißt es dann, dass Ciri durch die Kräuterprobe aber blass oder weiß sein müsste. Das stimmt nicht. Ciri hat diese nie vollzogen – das wollten Hexer so wie Triss Merigold damals nicht. Weil sie die Kräuterprobe nie durchlaufen hat, ist Ciri also nicht unbedingt blass oder weiß – anders als der Hexer Geralt. Andere behaupten Ciri müsse weiß sein, weil sonst ihre Mutter Pavetta oder ihr Vater Emhyr, der Kaiser der Nilfgaarder, schwarz oder zumindest nicht-weiß sein müssten. Und wenn es die Nilfgaarder treffe, müsse dann deshalb das ganze Volk der Nilfgaarder schwarz sein.
Warum soll es aber so abwegig sein, dass Nilfgaard oder auch Cintra eine multikulturelle Gesellschaften sind? Schließlich wird Nilfgaard eine Inspiration am oströmischen Reich und einer Prise des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation nachgesagt – gerade hier ist eine gewisse Diversität der Gesellschaft nicht unlogisch und auch nicht auszuschließen. Dass dann der Herrscher des Reiches auch BAME sein könnte – ja, warum denn nicht?
Hinzu kommt, dass die Handlung, die in The Witcher erzählt wird, eine fiktive Fantasy-Geschichte ist und kein historischer Bericht. Aber selbst wenn es eine historische Geschichte wäre, dann wären nicht-weiße Menschen im Mittelalter nicht so unüblich gewesen, wie viele heute denken. Dass es ausschließlich weiße Menschen in Europa des Mittelalters gegeben hätte, ist ein Narrativ, das bis zum 18 Jahrhundert zurückreicht und nicht der Wahrheit entspricht.
„Aber The Witcher ist doch osteuropäisch ...“
Außerdem gibt es Stimmen, die aufschreien, dass Ciri nicht eine Nicht-Weiße sein könne, da die Hexer-Saga in einer slawischen, osteuropäisch-mittelalterlichen Welt spiele. Erstens stimmt das nicht, es ist eine Fantasy-Welt – auch wenn die Inspiration Sapkowskis offensichtlich in den osteuropäischen Mythen zu finden ist, greift der Autor auch eine Anzahl an anderen Märchen und Mythologien auf. Der Dschinn beispielsweise, der Geralt an Yennefer mit einem Wunsch bindet, stammt eigentlich aus der arabischen, islamischen Mythologie. Die eingebundene Aspekte der Artus-Sage sind altenglisch und nicht slawisch.
Ob es jemals ein The Witcher 4 geben wird?
In The Witcher gibt es also Elfen, Zwerge, Basilisken, Drachen, sogar Dschinns, aber ein nicht-weißer Herrscher und eine nicht-weiße Ciri sollen nicht realistisch sein? Zudem sollten Fans der Spiele im Kopf behalten, dass die Serie nicht nur für sie gemacht wird – sondern im besten Fall für alle, die sich für eine Fantasy-Serie mit Hexern und Monstern interessieren. Es ist eine Adaption der Bücher, an der Sapkowski als Creative Consultant selbst mitarbeitet.
Falls also die Entscheidung fällt, dass Ciri beispielsweise asiatisch ist, scheint das für den Autoren der Bücher vollkommen in Ordnung zu sein. Bei einer Adaption spielt zudem auch immer die künstlerische Freiheit eine Rolle – auch bei der Charakterwahl. Dass es Fans dann nicht passt, weil die Serie nicht so wird, wie sie diese unbedingt haben wollen, sollte den Machern primär egal sein. Nicht jeder muss mit ihrem Werk einverstanden sein – solange sich das Endergebnis sehen lassen kann. Und wenn sich dann ein junges BAME-Mädchen mit Ciri identifizieren kann, umso besser. Junge weiße Mädchen haben dafür ja immer noch die Spiele.
Ganz schön episch:
Diversität ist nicht schlecht
Einige stellen aber schon jetzt die Behauptung auf, dass die Suche nach einer BAME-Schauspielerin rassistisch sei, weil weiße Darstellerinnen vom Casting ausgeschlossen werden. Dabei können Weiße nicht wirklich rassistisch diskriminiert werden, zumindest nicht in der Form, in der BAME diskriminiert werden – es sei denn natürlich, jemand baut eine Zeitmaschine. Wörter wie „Blackwashing“ fallen, um den Sachverhalt auf eine Stufe mit dem Problem des Whitewashing zu heben. In Filmen sind jedoch auch heute noch überdurchschnittliche mehr weiße Schauspieler zu sehen als BAME.
Das liegt unter anderem daran, dass die Filme oft von weißen für weiße Leute gemacht werden. Zum Glück ist das aber nicht immer so. Die von einigen so verhasste Diversität ist der Versuch, identifizierbare Rollen auch für andere Ethnien einzuführen. Dadurch können sich mehr Menschen mit einem Kulturprodukt identifizieren, heißt: Nicht mehr nur weiße, sondern weiße und BAME bekommen Projektionsflächen in Filmen geboten – ausgeschlossen werden nicht mehr, sondern weniger.
Du stehst auf weiß? Dann sind immerhin die The Witcher-Spiele etwas für dich. Alle zu 100 Prozent weiß:
Für einige scheint das aber genau das das große Übel zu sein, wenn nämlich ein eigentlich weißer Charakter plötzlich schwarz sein soll. Als würde ihnen etwas weggenommen werden. Wen das Thema interessiert, kann sich gerne mal eine kleines Experiment ansehen, warum es ein Unterschied ist, wenn eine weiße Figur schwarz wird – oder eben umgekehrt. Denn bei den im Vergleich zu weißen wenigen BAME-Hauptrollen fällt es nun mal auf, wird Whitewashing betrieben. Wenn hingegen eine der zahlreichen weißen Figuren auf einmal eine andere Ethnie hat, gibt es immer noch genügend andere weiße Rollen.
Übrigens: Hinter dem Casting eine Agenda, Political Correctness und das Werk von Social Justice Warriors zu sehen, zeigt im Grunde nur, in welchen Kategorien viele denken. Das klingt nach den typischen Mustern von Verschwörungstheorien, die nicht selten besagen, eine Gruppe, geheime Kräfte, „Liberale“ oder was auch immer würden die ganze Gesellschaft verändern wollen – ohne dafür auch nur den Hauch von Belegen liefern zu können.
Fazit
Das Einzige, was wir momentan wirklich wissen, ist, dass vermutlich eine nicht-weiße Darstellerin für die Rolle der Ciri in der The Witcher-Serie von Netflix gesucht wird – BAME kann wie erwähnt so jedwede Minderheit sein. Mehr nicht. Bevor es also zu Anfeindungen, Diskussionen und anderem kommt: Warten wir doch einfach mal ab, bis Hissrich oder Netflix eine konkrete Ankündigung machen. Selbst wenn dann Ciri asiatisch, schwarz oder irgendwas anderes wird, macht das sicherlich nicht die ganze Geschichte von The Witcher kaputt – vor allem, wenn die Schauspielerin eine gute Leistung abliefert.