Aldi und Lidl als Vorbild? So funktioniert Amazons heimliche Markenstrategie

Schleicht Amazon auf Zehenspitzen zu einer immer größeren Dominanz im E-Commerce? Neue Zahlen zeigen, wie der Onlinehändler mit durchschlagendem Erfolg ein Rezept anwendet, dass man auch die „Aldi-Strategie“ nennen könnte.
Von „AmazonBasics“ (Batterien, Smartphone-Zubehör, Kabel) hat wahrscheinlich jeder schon mal gehört. Das ist aber nur die Spitze eines Eisbergs, der sich aus Solimo, Meraki, Truth & Fable, Find, Iris & Lilly und vielen weiteren sogenannten Eigenmarken zusammensetzt. Dahinter steckt ein Milliardengeschäft, das die dominante Position des Online-Händlers weiter ausbauen wird. Heimlich, still und leise verdrängt der von Multimilliardär Jeff Bezos geführte Tech-Riese altehrwürdige Markenhersteller von ihren sicher geglaubten Stammplätzen.
Amazon 2022: Eigenmarken sorgen für 25 Milliarden US-Dollar Umsatz
Ob Rasierer, Werkzeug, Mode, Baby-Feuchttücher oder Proteinpulver – hinter immer mehr Produkten, die es hierzulande bei Amazon zu kaufen gibt, steckt der E-Commerce-Gigant selbst. Die Geschäfte laufen prächtig, so hängen AmazonBasics-Batterien absatztechnisch längst Duracell und Energizer ab.
Laut Schätzungen der Bank SunTrust Robinson Humphrey wird Amazon dieses Jahr 7,5 Milliarden US-Dollar mit Eigenmarken erwirtschaften, bis 2022 soll der Umsatz auf 25 Milliarden US-Dollar steigen. Die Strategie stammt aus dem Heimatmarkt USA, wo bereits Dutzende sogenannter Eigenmarken im Einsatz sind. Wie viele Eigenmarken Amazon in Deutschland aktuell nutzt, ist nicht offiziell bekanntgegeben, aber auch hierzulande dürfte die Anzahl mittlerweile im zweistelligen Bereich liegen.
Neben Eigenmarken darf auch nicht der benachbarte Bereich der „exklusiven Marken“ verachtet werden. Hier ist zwar nicht Amazon selbst für die Produkte und das Marketing zuständig – trotzdem profitiert der Handelskonzern davon, dass Kunden diese Artikel nicht anderswo kaufen können und zum Amazon Marketplace kommen müssen. Den Händlern bleibt zudem kaum etwas anderes übrig, als selbst Marken aufzubauen und bei Amazon anzubieten: „Keine Marke kann es sich heutzutage leisten, auf der Plattform nicht vertreten zu sein: Sie steht für fast 50 Prozent des deutschen E-Commerce-Umsatzes,“ erläutert der Handels-Experte Tim Nedden von Finc3. Auch die Marktplatzhändler müssten „lukrative Nischen entdecken und Eigenmarken entwickeln, die ihnen Exklusivität bieten.“
Schaute Amazon bei Aldi und Lidl ab?
Amazons Strategie ist nicht brandneu, sondern längst erprobt und bewährt – deutsche Lebensmittel-Discounter habe sie vor Jahren perfektioniert und dürften in der Management-Etage rund um Jeff Bezos höchstwahrscheinlich als Vorbild gedient haben. Als Supermarkt-Kunde kennt man das Prinzip eigentlich schon seit Ewigkeiten: Man muss sich nur bei Aldi oder Lidl umschauen. Dort sind Marken wie Choceur, Hofburger, Kokett, Silvercrest und Crivit zu finden. Bei den Wettbewerbern im höheren Preissegment gibt's „Rewe Beste Wahl“ oder „Edeka Select“.
Eigenmarken (bzw. „Handelsmarken“) bringen dem Händler zahlreiche Vorteile. Dazu gehört eine höhere Gewinnspanne, unter anderem weil zwischen Produktion und Verkauf eine Station übersprungen wird. Dazu kommt die Kontrolle über das Produkt und dessen Herstellung. Anders formuliert: Bei Marken-Gummibärchen muss sich Aldi mit den Vertriebsverantwortlichen von Haribo an den Verhandlungstisch setzen. Bei „Topstar“-Cola ist der Discounter deutlich unabhängiger, weil es sich um eine Eigenmarke handelt.
E-Commerce-Erfolg mit Beigeschmack
Die Zukunft für Amazon sieht weiterhin rosig aus, dem Erfolg der Eigenmarken steht kaum etwas im Weg. Nur eines vielleicht: Die Wettbewerbshüter der EU-Kommission haben den E-Commerce-Giganten bereits im Visier und schauen genauer hin. Es stellt sich nämlich die Frage, was Amazon mit den Daten anstellt, die durch die Transaktionen der vielen Amazon-Marketplace-Händlern gewonnen werden. Hier lässt sich genau herauslesen, welche Produkte erfolgsversprechend sind und wo der Trend hingeht. Mit solchen – unglaublich wertvollen – Erkenntnissen könnte ein Plattform-Anbieter wie Amazon theoretisch den Absatz der eigenen Produkte vorantreiben.
Vielleicht ist es aber auch schon längst zu spät: „Du hast einen Topseller bei Amazon? Dann mach dich darauf gefasst, dass es sie es bald auch selbst produzieren und verkaufen,“ so die Warnung in einem Enthüllungsartikel von Bloomberg, der sich an Amazon-Marketplace-Händler richtet. Der Bericht ging bereits im April 2016 online.
Quellen: TJI Amazon Brand Database, QZ, Internet World (2), Amazon, Heise/dpa, Bloomberg