Beliebter als Sex

Für Niantic und Nintendo hat es sich absolut ausgezahlt, dass die deutschen Medien genug Zeit nach dem US-Release hatten, um auf den Hype-Train aufzuspringen – als am 13. Juli Deutschland als viertes Land zum Pokémon-Revier wurde, war die Veröffentlichung auf fast allen größeren Portalen, ob Fach- oder Publikumspresse, die Hauptmeldung. Gleichzeitig schwappten Zahlen zu der ersten Woche Mega-Hype nach Deutschland. In den USA war Pokémon Go mittlerweile auf knapp 11% aller Android-Geräte installiert und als Suchbegriff löste das Spiel für einige Zeit selbst den ewigen Spitzenreiter „Sex“ ab.

Rasend schnell verbreitete sich Pokémon Go auf den Handys und egal durch welche Kleinstadt man ging – überall liefen selbst nachts die frisch gebackenen Pokémon-Trainer herum. In der Releasewoche konnte man Pokémon Go so kaum aus dem Weg gehen – spätestens mit dem Beitrag in der Tagesschau, dem Flaggschiff der deutschen Nachrichten, war das Spiel am 14. Juli endgültig im Mainstream angekommen. Gleichzeitig kamen auch immer mehr kritische Stimmen auf, die sich nicht nur auf das zombiehafte Wandern durch die Straßen bezogen.

Datenschützer beklagten zu Beginn, dass Niantic nicht nur jederzeit Zugriff auf die Bewegungsdaten habe, sondern nach der Anmeldung auch auf alle weiteren Daten des Google-Kontos. Zugleich wurde beispielsweise das Holocaust-Mahnmal in Berlin plötzlich von spielenden Jugendlichen bevölkert, und auch in Deutschland streikten die Server regelmäßig. Den Erfolg stoppten diese Probleme allerdings nicht – Nintendos Börsenkurs ging durch die Decke und immer mehr Unternehmen wollten am Erfolg teilhaben.

Der Hype flaut wieder ab, oder?

Seit dem Release von Pokémon Go hat sich Nintendos Börsenwert bis zum 20. Juli bereits mehr als verdoppelt – der Spielerhersteller war zwischenzeitlich mehr wert als alle Sparten von Sony zusammen. Täglich spielten zu diesem Zeitpunkt knapp 45 Millionen Nutzer das Spiel. Es waren wahrlich Fabelzahlen, die jeden noch so kleinen Laden auf den Plan riefen. Mit Lockmodulen vor ihren Geschäften versuchten sie Spieler zu fesseln und egal ob Bäcker, Elektronikladen oder Florist – jeder hatte irgendetwas mit Pokémon-Bezug im Schaufenster. So unglaublich präsent wie der Hype zu diesem Zeitpunkt war, musste irgendwann zwangsläufig der Rückgang kommen.

Am schnellsten verschwand die Euphorie an der Börse. Weniger als drei Wochen nach dem ersten Release fiel die Nintendo-Aktie von dem Allzeithoch in historischer Geschwindigkeit. Das lag hier aber weniger an dem gesunkenen Interesse der Spieler sondern viel mehr an einem offiziellen Statement Nintendos. Das japanische Unternehmen stellte darin am 25. Juli klar, dass sie weder Produzent des Spiels seien, noch den größten Teil der Einnahmen allein einstreichen – sie sind allerdings sowohl Teilhaber an The Pokémon Company als auch Niantic Inc. Die Aktionäre waren sichtlich enttäuscht und innerhalb eines Tages fiel die Aktie um etwa 18%, und das Unternehmen verlor über Nacht wieder knapp 6,7 Milliarden Dollar an Wert.

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Deutlich langsamer, aber kontinuierlich verabschiedeten sich in den folgenden Wochen auch Spieler von der App – die Pokémon-Trackingfunktion wurde zunächst verschlimmbessert, Cheater konsequenter ausgesperrt und wirkliche neue Features ließen auf sich warten. Mitte August lag die Zahl der täglich aktiven Spieler daraufhin „nur“ noch bei gut 30 Millionen. So langsam zog sich die App wieder aus der Mainstreampresse zurück und wurde vorrangig zum Thema für Gamingmagazine – zumindest fast. Auch heute laufen Geschichten noch gut, in denen russische Blogger für das Pokémon-Go-Spielen in der Kirche verhaftet werden oder Ärzte die besonders gesundheitsfördernden Eigenschaften des Spiels loben. Das Zurückgehen des Hypes bedeutet aber noch lange kein Verschwinden des Spiels – schließlich nutzten auch Mitte September noch knapp 10% aller Smartphone-Besitzer regelmäßig Pokémon Go. Um diesen Kern der Spieler zu halten, muss sich Niantic aber noch etwas einfallen lassen.

Neues Leben durch Events?

Im September erhörte der Entwickler schließlich den Wunsch nach wirklichen Neuerungen für Pokémon Go. Den Anfang machte das Kumpel-System, bei dem du mit deinem Lieblingspokémon auf Bonbonjagd gehst – später folgte mit dem bereits seit Monaten angekündigten Pokémon Go Plus ein Bluetooth-Armband, das die Monsterjagd vereinfacht. Besonders lange gab es zudem Unmut wegen des Tracking-Systems – hier konnte Niantic erst in den letzten Wochen mit einer letzten Überarbeitung die Community größtenteils zufriedenstellen.

Pokmon-GO-Kumpel
Das Kumpel-System von Pokémon GO verdient Dir Extra-Bonbons für Dein Lieblingspokémon.

Am meisten Hoffnung setzt Niantic in Events und neue Pokémon, um Nutzer zum Bleiben oder Wiederkehren zu motivieren. So tauchten besonders viele Geistpokémons an Halloween in den Straßen auf oder die zur Weihnachtszeit gefangenen Pikachus laufen mit Weihnachtsmannmütze durch die Gegend. Gleichzeitig wurden endlich auch erste Dittos gefunden und vor Kurzem mit den ausbrütbaren Baby-Pokémon wie Togepi oder Pichu die zweite Welle an Pokémon gestartet.

Was birgt die Zukunft?

Auch wenn das große Launch-Jahr nun so langsam endet, scheint der Weg von Pokémon Go noch einige Zeit weiterzugehen. John Hanke versprach, dass maximal 10% aller Ideen für Pokémon Go bisher umgesetzt wurden und man das Spiel noch über Jahre unterstützen werde. Schließlich bietet alleine das kontinuierliche Hinzufügen von neuen Pokémon genügend Reiz zum Wiederkehren. Ich bin gespannt, welche der bereits angekündigten und angedeuteten Features wirklich kommen. Die schon im Ankündigungstrailer gezeigte Tauschfunktion? Wirkliche Kämpfe zwischen zwei Spielern? Eine Verbindung zur neuesten Pokémon-Generation? Ein neues, noch besseres Pokétrainer-Wearable? Alleine diese Liste bietet genügend Platz, um Pokémon Go auch 2017 auf den Smartphones unzähliger Hobby-Trainer zu halten.