Zu Mass Effect: Andromeda hagelte es vor und nach Release massiv Kritik. Zuerst wurden Dir die grässlichen Gesichtsanimationen vor Augen geführt, dann äußerten sich Kritiker wie John Walker von Rock Paper Shotgun zu einer schrecklich langweiligen Story in den ersten Spielstunden. Als langjähriger Mass-Effect-Fan brach mein Herz Stück für Stück. Bis ich das Spiel endlich selbst in meine Konsole einlegen durfte.

 
Mass Effect: Andromeda
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Mass Effect: Andromeda
Mass Effect Andromeda: Der Launch-Trailer zum Rollenspiel
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Meinungsartikel, der den Standpunkt unserer Redakteurin widerspiegelt und nicht zwingend der Meinung der gesamten Redaktion entsprechen muss. Er erhebt keinen Anspruch auf eine universell gültige Wahrheit und deckt sich vielleicht nicht mit Deinen eigenen Vorstellungen.

Ich gebe es ja zu: Schon die ersten vorsichtigen Töne der Titelmelodie im Hauptmenü haben ein Lächeln in mein Gesicht gezaubert. Natürlich habe ich da noch nichts von dem Spiel gesehen — und meine Vorfreude hielt sich in Grenzen. Wird das Spiel, auf das ich so lange gewartet habe, wirklich eine Enttäuschung werden? Die ersten Schritte sprachen dagegen — meinen männlichen Standard-Ryder habe ich sofort ins Herz geschlossen, wenngleich ich über die Option „Vergangenheit anpassen“ lachen musste. Viele Infos wurden da ja nicht abgefragt. Aber es sei Mass Effect: Andromeda verziehen, insofern es einen frischen Start in einer neuen Galaxie wagt und nicht allzu viel Bezug auf meine Entscheidungen in den letzten Teilen nehmen muss.

Schnell habe ich noch den Namen angepasst — und dann wird der Bildschirm nach dem Ladebalken plötzlich schwarz. Electronic Arts präsentiert. Eine Bioware-Produktion. Leise Töne und dann eine tiefe, männliche Stimme, die mir von Träumen und dem Mut der Menschen erzählt, welche alles zurücklassen, um in der Andromeda-Galaxie ein neues Leben beginnen zu können. Und ich wusste schon da: Ja, ich will diesen Menschen helfen; ich will erneut in die Fußstapfen eines Helden treten, Freunde und Feinde treffen und meine ganz eigene Geschichte in einer fremden Galaxie erzählen. Das war Mass Effect — egal, wie holprig es daher kommen würde, ich war sicher, endlich wieder in diese lang ersehnte Spielwelt eintauchen zu dürfen.

Gesichtsanimationen schrecklich? Ach, kommt schon.

Für sehr viel Trubel sorgten ja insbesondere die Gesichtsanimationen. Da gab es so viel Hate in den Medien, dass ich beim Anspielen beinahe befürchtete, ich würde mit wilden Roboter-Puppen konfrontiert werden, die nichts menschliches mehr an sich haben. Natürlich ist das nicht der Fall gewesen. Infolge des Hate-Trains wurde wieder massiv übertrieben, denn jeder will auf den Zug aufspringen und eine noch bösere oder krassere Kritik in die Unweiten den Internets werfen. Es ist ein recht vorhersehbarer Prozess, der auch beim berüchtigten No Man's Sky seinen Lauf genommen hat. Natürlich möchte ich einräumen, dass die Animationen der Gesichter in Mass Effect: Andromeda keineswegs perfekt sind und durchaus für den einen oder anderen Lacher sorgen können. Aber weckt das nicht alte Erinnerungen?

Wir wissen es doch alle: Die Mass-Effect-Reihe glänzte noch nie mit ihren realistischen und schönen Gesichtern. Auch der ein oder andere Face-Glitch hat sich in die Spiele der Sci-Fi-Reihe eingeschlichen und wurde mit der Zeit Teil des Kultes um Mass-Effect, wie die vielen Fan-Videos zeigen. Dass Mass Effect: Andromeda da jetzt völlig dilettantisch heraussticht, ist mir beim Spielen noch nicht aufgefallen. Eher im Gegenteil: Die Gesichter wirken manchmal — besonders bei Nebencharakteren — emotionslos, aber die Animationen bei Dialogen zwischen den Teammitgliedern oder der Besatzung der Tempest haben mich zufrieden gestellt. Und BioWare ist schon dabei, die kritischen Aspekte der Animationen aus dem Spiel zu patchen. Besser spät als nie.

Wie gesagt: Der ein oder andere Makel besteht, aber der Hate gegenüber den Gesichtsanimationen ist meiner Meinung nach völlig übertrieben. Ganz abgesehen davon, dass die Grafik bei Spielen wie Mass Effect für mich keine übergeordnete Rolle spielt: Hier geht es um Story und Atmosphäre, um Entscheidungen und — nicht zu vergessen — um Freundschaft und Liebe. Mass Effect ist schon immer eine wunderbare Seifenoper gewesen, wenn Du die Dialog-Optionen bis zur Gänze für Dich ausnutzt. Und Andromeda macht da keinen Unterschied.

Mass Effect - Andromeda Trial: Nach zehn Stunden weiß ich, dass die Story Mist ist!

Achja, die Story. „Das ist ja völlig platt und vorhersehbar; ich habe schon zehn Stunden gespielt und da hat mich die Geschichte ganz und gar nicht überzeugt!“ Jaja, nach den Gesichtern ging es gleich weiter mit der Story — eines muss definitiv festgehalten werden: BioWare hat sich keinen Gefallen getan, als sie über das Andromeda Trial Keys für ein erstes Anspielen herausgaben. Das konnte bei einem so gigantischen Titel gar nicht gutgehen. Und während das Kampfssystem durchgehend gelobt wurde, erlitt inbesondere die Geschichte des neuen Pathfinders Risse im Hagel der darauffolgenden Kritik.

Dabei muss ich zunächst eines klarstellen: Zehn Stunden sind keine Zeit für Mass Effect: Andromeda. Die ersten drei Teile der Reihe waren schon lang, aber Andromeda ist monumental. Entscheide Du, ob Du das gut oder schlecht findest, aber Fakt ist, dass nach zehn Stunden kein klares Bild über die InGame-Geschichte dieses Spiels entstehen kann. Deswegen ärgert es mich nach wie vor, wenn Kritiker aufgrund dieser Tatsache über die Story des Gesamtspiels entscheiden.

Mass Effect-Lead-Designer Ian Franzier hat in einem Twitter-Beitrag vor Release des Spiels geschrieben, die Spieler würden sehr viel mehr als zwei Tage Urlaub brauchen, um Andromeda durchzuspielen. Ich selbst hatte nach zwanzig Stunden Spielzeit noch nicht einmal ein Viertel des Spiels gesehen, und konnte mir auch da erst langsam ein Urteil über die Geschichte des Pathfinders bilden:

Ob die Hauptstory nun tatsächlich Mist ist, entscheidet jeder Spieler für sich. Im Spiegel der vorherigen Mass-Effect-Teile leuchten die Sterne in der Andromeda-Galaxie jedoch hell genug, um mich zu begeistern; oder anders ausgedrückt: Mir hat die Story sehr gefallen. Die Aufgabe des Pathfinders, neue Welten für mehrere tausend Menschen in völlig fremden Sonnensystemen zu suchen, hat mich sofort gefesselt. Dazu kommen neue Aliens, und damit verbundene neue diplomatische Herausforderungen an mich. Neue Feinde, aber auch Feinde in meinen eigenen Reihen; und seltsame alte Alien-Technologie, die mich im Übrigen grafisch extrem beeindruckt hat. Ach, und natürlich die Geißel, zusätzlich zu den Aufgaben, die mich auf jedem einzelnen der vorgeschlagenen Heimatplaneten erwartet. Irgendwann wurde mir klar: Phu, das ist ganz schön viel!

Mein Fazit zur Story: Andromeda öffnet im Verlauf des Spiels so viele Stränge und bevölkert die Systeme mit so vielen Aliens, Quests und Storylines, dass niemand mehr hinterherkommt. ‚Platt’ würde ich das nicht nennen, eher sehr ‚Mass Effect’-ig. Das Spiel hat mir von Anfang an Lust gemacht, diesen völlig fremden Cluster in Andromeda zu erkunden. Allerdings hätten die Planeten in einer fremden Galaxie ruhig ein wenig bizarrer aussehen dürfen — darüber und über vier weitere Dinge, die uns an Mass Effect: Andromeda nerven, haben wir hier für Dich geschrieben.

Was Mass Effect ausmacht: Entscheidungen, Atmosphäre und Liebeleien

Die Welt von Andromeda fühlt sich ‚echt’ an — zumindest so echt für mich, dass ich mich völlig in die Haut meines Pathfinders hineinversetzen konnte. Und genau das ermöglicht mir dieses Spiel wie kein anderes — indem es mir die Möglichkeit gibt, den Musiksender in meinem Apartment auf der Tempest oder auch die Farben meiner Freizeitkleidung einzustellen. Belanglosigkeiten, die aber entscheidend für eine starke Immersion ins Geschehen sind. Dazu kommt Ryders Familie. In der letzten Mass-Effect-Reihe beschränkten sich die Informationen über die Vergangenheit des Protagonisten fast ausschließlich auf eine Auswahl während der Charaktererstellung. Was schade ist, denn durch die Familiengeschichte in Mass Effect: Andromeda wird mir zum ersten Mal klar, wie viel den ersten drei Teilen dadurch verloren gegangen ist: Die emotionale Bindung zu Ryders Schwester oder Bruder ist sofort nachvollziehbar, während die dagegen kühle Beziehung zu Ryders Vater meiner Figur einen wunden Punkt gibt, eine Achillesferse, die mir Ryder sofort sympatisch macht. In den Kreisen der Autoren sind solche tiefgehenden Wunden bei der Charakterentwicklung übrigens extrem wichtig, um die Rolle nachvollziehbar und menschlich zu gestalten. Gut gemacht, BioWare!

„Okay, jetzt kommen wir zur wichtigsten Frage: Mit wem hattest Du Sex?“ — Mass Effect steht und fällt mit den etlichen Romanzen, die der Hauptcharakter eingehen kann. Auf Twitter hat Produzent Michael Gamble noch vor Release in einem berüchtigten Tweet bestätigt, dass es viele Liebeleien und Sexszenen in Andromeda geben wird:

Das hat sich bewahrheitet, sofern sich der Spieler für eine heterosexuelle Beziehung entscheidet.

Kritik musste das Game wegen der abgeschmackten homosexuellen Optionen einstecken und das, obwohl ehemalige BioWare-Spiele gerade für ihre LGBT-Freundlichkeit gelobt wurden. Sehr schade, denn auch mir sind beim Spielen meines männlichen Ryders die wenigen Möglichkeiten für eine homosexuelle Romanze aufgefallen. Ganz abgesehen davon, dass keine der beiden Optionen sich im Squad befindet. Aber Besserung ist in Sicht: BioWare nimmt die Fans beim Wort und verspricht Patches bezüglich der Liebschaften.

Abgesehen von wenigen verwirrenden Dialogen, fühlen sich die freundschaftlichen und romantischen Beziehungen zu den Teammitgliedern sowie zur Tempest-Crew allerdings gut an. Der Angara Jaal verspricht allein deswegen interessante Gespräche, da seine neue Alien-Art sehr emotional reagiert und Liams Engagement, das Eis zwischen den Angara und den Menschen zu brechen, ist ein schönes Beispiel für Toleranz. Jeder dieser Nebencharaktere hat seine Eigenarten und alles in allem erinnert dieses Zusammenspiel erneut sehr an die letzten drei Teile der Serie.

Noch ein Schlusswort zum Gesprächs-und Entscheidungssystem: Leider kann der Spieler nicht in allen Dialogen auf vier Antwortmöglichkeiten zugreifen, aber insgesamt fühlen sich die wichtigen Konversationen freier an, als in den letzten Teilen. Neben diesem Pluspunkt möchte ich Dich auch auf die kniffligen Entscheidungen hinweisen, die schon immer bei Mass Effect eine große Rolle gespielt haben.

Dabei darfst Du gefühlt wieder über Leben und Tod entscheiden; als Beispiel eine der ersten Nebenquests auf der Nexus: Hier geht es darum, einen Turianer entweder zu verurteilen oder von seiner Strafe freizusprechen. Ob er schuldig ist, liegt aber im Auge des Betrachters, was die ganze Sache natürlich schwierig macht. Letztendlich ist keine der beiden Möglichkeiten optimal — es ist eine dieser Quest-Entscheidungen, die später unter Freunden für Gesprächsstoff à la „Und für was hast Du Dich entschieden?“ sorgt. Andromeda steht den älteren Teilen auch hier um nichts nach — und das freut mein Spieler-Herz!

Fazit:

Hat Mass Effect: Andromeda Fehler? Ja. Sind die Gesichtsanimationen holprig? Ja. Gibt es Bugs, Glitches und ist mancher Dialog verwirrend? Ja. Aber ist es deswegen ein schlechtes Spiel? Nein. Während der Hate-Welle gegen Mass Effect: Andromeda wurde in meinen Augen maßlos übertrieben: Nach den etlichen negativen Artikeln über das Spiel wurde ich positiv überrascht, als ich es endlich selbst unter die Lupe nehmen konnte. Ob Dich die Story und die Atmosphäre jedoch packt, liegt bei Dir. Meinem Kollegen Sandro fiel es schwer, in den Heleus-Cluster einzutauchen. Er hat über seine Erfahrungen mit Mass Effect: Andromeda im Test berichtet. Für mich hingegen stellt dieses Spiel einen gelungenen ersten Teil einer neuen Saga dar, auch wenn ich hoffe, dass BioWare und EA sich das nächste Mal genug Zeit nehmen, um die Bugs und Glitches vor dem Release zu beheben. Die hätten ja wirklich nicht sein müssen.